Predictive Customer Care im Handel

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Date Published

15/04/2021

Reading time

5 Minuten

Author

Sabine Haas

Predictive Customer Care im Handel – Kundenbedürfnisse erkennen, bevor sie entstehen

Eine Bekannte berichtete mir vor einigen Tagen stolz von ihrem Mode-Shopping-Erlebnis und wie viel Spaß sie gehabt habe. Ich war irritiert: Mitten im Lockdown Kleider im bekannten Store kaufen? Wie das? Ich habe gelernt: Es geht prima, wenn das jeweilige Geschäft etwas von Digital Shopping versteht und die Wünsche seiner Kundschaft kennt.

Begonnen hatte alles mit dem Foto einer Jeans auf Instagram. Eine kleine, sehr exklusive Modeboutique aus Bayern postet auf ihrer Seite regelmäßig aktuelle Produkte und kommuniziert auch sämtliche Sales-Aktionen. Via Facebook und Instagram erreicht das familiengeführte Unternehmen damit immerhin knapp 3.000 Personen – auch während des Lockdowns.

Begeistert von den Produkten der Boutique hat meine Bekannte den Instagram-Channel des Modeladens abonniert und ist inzwischen ein großer Fan. Das Highlight: Jede Woche findet im derzeit geschlossenen stationären Laden eine Live-Verkaufsshow statt. Immer zu einer festen, gut planbaren Zeit am Freitagnachmittag. Mutter, Tochter und Angestellte präsentieren dort dann reduzierte Einzelteile oder neue Kollektionen. Corona-konform und FFP-2-Masken tragend stellen sie Jacken, Pullover und Hosen vor – nicht immer perfekt vor der Kamera posierend, aber mit viel Begeisterung und Engagement.

Bei meiner Freundin führte dieser Einsatz zum gewünschten Erfolg: Sie wollte sich ein Kleidungsstück kaufen und schrieb die Boutique an. Die umgehende Antwort: Ein kurzfristig vereinbarter Facetime-Termin, zu dem eine Mitarbeiterin die Details (Preis, Farbvarianten etc.) besprechen wollte. Statt eines einfachen Telefonats nutzt der Laden die digitalen Möglichkeiten des Smartphones voll aus und präsentiert sich in Video-Calls.

Zum Termin dann stellte die Boutique-Mitarbeiterin mit einem perfekten Gespür für proaktiven Kundenservice nicht nur die gewünschte Hose vor, sondern hatte dazu noch einen Ständer voller Kleidungsstücke „mitgebracht“, der exklusiv für diese Kundin zusammengestellt war. Das Ergebnis: Statt nur einer Hose, verkaufte die Boutique in diesem Service-Call zwei Hosen und zwei Oberteile. Der gesamte Termin war unterhaltsam und angenehm, von Aufdringlichkeit keine Spur. Ein Online-Shopping-Erlebnis vom Feinsten.

 

Verständnis für proaktiven Kundenservice ins Digitale überführen

Was dieser kleine Laden macht, ist ein Trend, über den sich derzeit auch große Unternehmen den Kopf zerbrechen: Predictive Customer Service. Gemeint ist ein proaktiver Kundenservice, der aktiv wird, bevor Fragen, Wünsche oder auch Probleme der Kundinnen und Kunden konkret auftreten. Was kleinere Unternehmen aufgrund ihrer engen und oft jahrelangen Kundenbeziehungen intuitiv wissen, wollen Konzerne und Großunternehmen über Big Data ermitteln: Sie wollen Voraussagen darüber treffen, was die Kunden benötigen, wann Servicefälle auftreten und welches Upselling gerade auf fruchtbaren Boden trifft. Übertragen auf das Beispiel der Modeboutique:

  • Gut erkannt I: Durch Lockdown und teilweise Ausgangsbeschränkung ist das Bedürfnis nach einem Shoppingerlebnis groß. Also bietet der Laden zu einer festen Zeit eine unterhaltsame Modenschau virtuell an.
  • Gut erkannt II: Gezeigt werden in erster Linie „Schnäppchen“, obwohl die Boutique eine eher kaufkräftige Zielgruppe anspricht. Der Grund: Derzeit sind Modeartikel „Kann-Käufe“, da man nicht wirklich viel ausgeht und neue Garderobe nicht dringend benötigt. Auf attraktive Sonderangebote springen die Kundinnen und Kunden da am ehesten an.
  • Gut erkannt III: Wenn Kundinnen und Kunden Interesse bekunden, zeigt man diesen gleich mehrere Artikel und bietet eine „ganz persönliche Verkaufsshow“. Die Artikel werden möglichst aufeinander und passend zu den bisherigen Kaufpräferenzen und derzeitigen Bedürfnissen der Kundschaft abgestimmt: Oberteile zur ausgewählten Hose, legere Kleidung fürs Homeoffice etc. Im Moment ist die Bereitschaft da, auch ein wenig mehr Zeit als zunächst geplant in einem Verkaufsgespräch zu verbringen. Kundin oder Kunde fühlt sich dadurch besonders beachtet.

 

Datenanalysen nutzen, um besondere Kundenerlebnisse zu erschaffen

Bei großen Unternehmen oder Handelsketten ist eine solche Betrachtung des einzelnen Zielkunden so natürlich nicht möglich. Aber die oben aufgeführten Learnings kann auch ein Algorithmus ermitteln: die Steigerung der Mediennutzung in Zeiten des Lockdowns, das reduzierte Interesse an neuer Mode-Ware, die steigende Verweildauer auf Online-Shopping-Seiten. Würde man diese Daten konsequent analysieren und nutzen, kann man auch als Großunternehmen Angebote erarbeiten, die deutlich maßgeschneiderter sind als das, was bisher üblich ist.

Statt intensiv Werbung zu schalten, die ähnliche Produkte zeigt wie das Produkt, das eben gekauft wurde, sollte man proaktiv das Spektrum der Angebote verstärken, die das gekaufte Produkt sinnvoll ergänzen und erweitern. Zwar gibt es auf Modeseiten oft ein „Dazu würde passen“, aber meist sind diese Vorschläge sehr allgemein und wenig inspiriert.

Vorausschauender Kundenservice bezieht sich allerdings nicht nur auf den Bereich Sales. Auch im eigentlichen Service und Support gibt es ähnliche Möglichkeiten: Wann ist die Wartung oder Reinigung eines Gerätes fällig? In welchen saisonalen Situationen tauchen beim Kunden Fragen nach zum Beispiel Winterreifen fürs Auto oder der nächsten Fahrrad-Inspektion im Frühjahr auf? Mit welchen technischen Störungen in der Industrie ist unter welchen Bedingungen zu rechnen?

Durch eine intelligente Datenanalyse und ein entsprechendes Kundenverständnis beim Unternehmen können viele Erwartungen vorweggenommen und proaktiv adressiert werden. Auch Capita Europe führt jährlich viele tausende Kundengespräche im Bereich Customer Care. In diesen wird immer wieder deutlich: Nichts begeistert mehr als ein Gegenüber, das nicht nur die Wünsche der Kundschaft versteht, sondern Erwartungen erfüllt, bevor sie geäußert wurden. Wenn Künstliche Intelligenz zu diesem Ziel beiträgt, wäre dies ein echter Mehrwert für beide Seiten.