Der Mittelstand steht vor gravierenden Veränderungen – eine davon heißt Service!

Capita_Transformation
Date Published

27/05/2021

Reading time

10 Minuten

Author

Sabine Haas

Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand. Das wird immer wieder betont und ist auch unbestritten, denn hierzulande gehört die weitaus größte Zahl der Unternehmen (mehr als 99 Prozent) der mittelständischen Wirtschaft an. Etwa 45 % der gesamten Wirtschaftsleistung werden hier erwirtschaftet, rund 60 % aller Erwerbstätigen sind hier beschäftigt. Darüber hinaus werden in mittelständischen Betrieben die meisten Auszubildenden (rund 80 Prozent) betreut und beschäftigt. Damit ist der Mittelstand eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft.

 

Hidden Champions rücken ins Blickfeld der Konsument*innen

Dennoch sind viele dieser Mittelstandsunternehmen wenig präsent. Überall in Deutschland gibt es sogenannte „Hidden Champions“, die zwar über nennenswerte Marktanteile in ihrem jeweiligen Segment verfügen, aufgrund ihrer Spezialisierung und Fokussierung auf B2B aber kaum jemandem bekannt sind.

Mit der Digitalisierung und dem aufkommenden Internet der Dinge (IoT, Internet of things) ändert sich dies zunehmend. Produkte, die bislang nur für Fachexpert*innen relevant waren, rücken plötzlich in die Aufmerksamkeit von Endverbraucher*innen.

Ein besonders eklatantes Beispiel für diese Entwicklung ist Smart Home. Heizungsanlagen, Lichtschalter, Türschließsysteme, Backöfen etc. werden zum einen durch Digitalisierung intelligent, zum anderen via App von jedem steuerbar. Damit verschiebt sich die Wartungs- und Konfigurationshoheit vom spezialisierten Handwerksbetrieb zur Endnutzerschaft. Dies verlangt neue Prozesse: Herstellerbetriebe, die bislang keine Kommunikation mit Endverbraucher*innen geführt haben, müssen sich plötzlich überlegen, einen eigenen Service aufzubauen. Denn die bisherigen Prozesse, bei denen die Handwerksbetriebe geschult und dann vermittelnd aktiv wurden, erweisen sich zunehmend als unzureichend.

Eine ähnliche, wenn auch noch nicht ganz so augenfällige Entwicklung zeigt sich bei Industrie 4.0. Dies lässt sich am Beispiel der Fahrzeugproduktion verdeutlichen: Während bisher die Autohersteller feste Produktkategorien vorgegeben und für ihre Zielgruppen zur Auswahl angeboten haben, können zukünftig individuelle Wunschvorstellungen direkt vom Kunden an die Produktion übermittelt werden. Die Autokäufer*innen erhalten einen digitalen Zwilling des von ihnen geplanten Fahrzeugs und eine transparente Einsicht in die Produktionsabläufe. Sie können somit jederzeit Individualisierungen und Änderungswünsche an die Produktion weitergeben. Es findet eine direkte Kommunikation zwischen Käufer*innen und Werk statt – und damit der Bedarf nach begleitenden Serviceangeboten.

 

Die Zukunft im Service von morgen hat begonnen

Was aus heutiger Sicht sehr utopisch anmutet, ist durchaus kein unrealistisches Szenario. Denken wir zehn Jahre zurück, dann erschien auch die Möglichkeit, seinen Paketversand individuell nachzuverfolgen und direkt mit dem DHL-Fahrer bezüglich Ablageort in Kontakt zu treten, als Zukunftsvision. Heute haben wir uns daran gewöhnt, digital genau sehen zu können, welchen Status der Logistikprozess hat und auf welcher Route sich der Versand-Zulieferer gerade nähert.

Überall da, wo Kund*innen auf Hersteller treffen, wird es zu Fragen und Kommunikation kommen. Vieles davon wird sicher digital über Self Service-Angebote in Apps, Portalen und via individuellen Kundenzugängen proaktiv abgefangen werden können. Aber ein Rest an Serviceanfragen wird bleiben und muss von Unternehmen beantwortet werden. Oftmals führt das zu großen Herausforderungen, weil auf diesem Gebiet bisher nur wenig bis keine Erfahrungen gemacht wurden.

Es ist daher sehr ratsam, sich im Mittelstand nicht nur Gedanken über Digitalisierung und Industrie 4.0 zu machen, sondern parallel auch über die Auswirkungen für den Customer Care nachzudenken.

 

Vier Leitfragen sollten die Digitalisierung von Produktionsunternehmen begleiten:

 

1. Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung, um näher an die End-Zielgruppen und ihre Erwartungen zu rücken?

Je unmittelbarer Herstellung und Nutzer*innen in Kontakt kommen können, desto besser und passgenauer wird das Ergebnis. Die Fertigungs- und Prozessketten, die sich in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet haben, sind inzwischen überlebt, weil die Distanz zwischen Herstellung und Absatzmarkt zu groß geworden ist. Industrie 4.0 bietet die Möglichkeit, diese Distanz wieder deutlich zu verringern. Jedes Unternehmen sollte prüfen, wo mögliche Schnittstellen zum Absatzmarkt sind, wie diese ausgebaut und gestärkt werden können.

2. Welche digitalen Schnittstellen sind notwendig, um den direkten Einblick bzw. Zugriff der Zielkunden auf die Prozesse zu ermöglichen?
Mit der zunehmenden Digitalisierung können „Fenster“ aufgemacht und Einblicke gewährt werden, die zuvor nicht möglich waren. Diese steigende Transparenz bietet Chancen für eine erhöhte Kundenbindung und direkteren Austausch. Ziel einer Digitalisierung der Produktion sollte nicht nur die Effizienzsteigerung nach innen, sondern auch die Sichtbarmachung nach außen sein. Nur dann hat man einen umfassenden Nutzen und den optimalen Mehrwert geschaffen.

3. Wie stelle ich sicher, dass die zur Verfügung gestellten Schnittstellen smart genug sind, um den Ansprüchen der Nutzergruppen zu genügen?
Amazon, Apple, Google & Co. machen es vor: Onlineportale und Apps können so konzipiert werden, dass sie sowohl intuitiv nutzbar als auch so angenehm in der Bedienung sind, dass man die direkte Kommunikation via klassischen Kanälen wie Telefon oder E-Mail dagegen als „sperrig“ erlebt.
Eine zentrale Herausforderung für den Mittelstand ist es, digitale Plattformen und Apps zu entwickeln, die den heutigen Standards entsprechen und eine gelungene User-Experience bieten. Meist wird auf diesen Aspekt nur wenig Wert gelegt, da die eigentliche Produkt-Fertigung im Mittelpunkt steht und die zugehörige Kundenschnittstelle eher als „nice to have“ verstanden wird. Künftig wird es darum gehen, diese Kundenschnittstelle so attraktiv und ansprechend wie möglich zu machen, weil sie für den Fertigungsprozess mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird.

4. Was tun, wenn Kund*innen Fragen haben?
Egal, wie gut die App oder das Portal aufgebaut sind, es wird immer Kundengruppen oder Situationen geben, die nach einer direkten Kommunikation verlangen. Serviceangebote sind unabdingbar, egal welche Kommunikationswege man dafür öffnen möchte. Der direkte Dialog von Herstellung und Absatzmarkt ist in vielen mittelständischen Betrieben bislang nicht vorgesehen. Service ist oftmals installiert als Support von Experten für Experten, nicht als Betreuung von Anwender*innen ohne jegliche Fachkompetenz. Mit der Einführung von Industrie 4.0 ist meist auch die Einführung von neuen Serviceangeboten und den zugehörigen Prozessen verbunden. Dies wird oft übersehen. Es macht sehr viel Sinn, dieses Thema von Beginn an mitzuplanen, damit es am Ende nicht zu bösen Überraschungen und enttäuschten Kund*innen kommt.

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